SKK004 Die Jugend

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Jennifer

Wir reden über die Jugend und welchen Problemen, Gefahren und Veränderungen sie ausgesetzt ist und warum die vielleicht nicht alle gut sind. Dabei kommen wir an den Herausforderungen und Veränderungen der Gesellschaft und jede Menge Schulbeispielen und vermissten Jugendkulturen vorbei.

Shownotes

13 Gedanken zu „SKK004 Die Jugend

  1. Sonntagssoziologe

    Hier mal eine Kritik an der offenen Lernkutur https://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/wissen/wir-machen-alles-alleine-die-krise-selbstgesteuerten-lernens/-/id=660374/did=17099566/nid=660374/3dut4e/index.html

    Manche Untersuchungen zeigen auch, wie offenes Lernen Schüler aus bildungsbürgerlichen Haushalten bevorzugt und solche aus bildungsfernen schichten benachteiligt. Empirisch funktioniert der Ansatz „Leute werden so, wie du sie behandelst“ scheinbar in der Pädagogik nicht überall und führt mitunter zur Diskriminierung derer, denen eigenständiges Lernen zugemutet wird, ohne dass sie es je erlernt hätten. Bildungsbürgerliche bringen diese Skills schon von zu Hause her mit. Den aus meiner Sicht derzeit besten Vortrag dazu gibt es hier: https://www.youtube.com/watch?v=9KvDU89SBZw

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    1. advi Beitragsautor

      Ich stimme da schon nicht überein, wenn da über „pädagogische“ Aufgaben geredet werden, die LehrerInnen haben und dann was von Unterrichtsplanung erzählt wird. Das ist halt kompletter Schwachsinn. Unterrichtsplanung, Inhalteanpassung sollte aus meiner Sicht im Dialog zwischen LehrerIn und SchülerInnnen stattfinden. Ich kann mich da weder meiner Verantwortung entledigen, noch darauf vertrauen, dass das „schon wird“. LernbegleiterIn und FeedbackgeberIn ist eben nicht genug. Es ist eben auch meine Aufgabe zu nivellieren, Leute die Probleme haben an die Hand zu nehmen und mit ihnen den Weg zu gehen. Dafür ist es in klassischen Klassensituationen praktisch, wenn eine größere Zahl der SchülerInnen das ohne mich kann. Das bedeutet aber nicht, dass ich nicht jedem und jeder mal über die Schulter schaue und meinen Senf hinzugebe. Meine Schülerschaft soll selbständig lernen, kann das aber nur im Trialog mit mir und der Welt. Alles andere ist halt genauso schwachsinnig wie der Nürnberger Trichter.

      Ich arbeite an einer Schule, die nicht von Bildungsbürgern frequentiert wird und muss immer wieder sagen, dass allein die Annahme der Vorschulen, dass ein/e SchülerIn diesen Background nicht hat dazu führt, dass diese Menschen so behandelt werden als seien sie kognitiv nicht in der Lage komplexe Probleme eigenständig zu lösen. Das können sie sicher, aber nicht so lange ich denen nicht gezeigt habe, wie das geht und die „Schulbewältigungsstrategien“ wegsozialisiert habe.

      Danke für die Links!

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      1. Sonntagssoziologe

        Ich frage mich zunächst, wohin nobel klingende Praktiken führen, denn das Ergebnis ist ja mitunter nicht das angestrebte. Die Ergebnisse können aber nur empirische Forschung zeigen.

        Wenn bei dir offener Unterricht so aussieht, dass du Schülerinnen und Schülern den Umgang damit erlernst, spricht das nicht für den offenen Unterricht als solchen, sondern für einen, bei dem – wie in deinen Klassen – Grundlagen nachgeholt werden müssten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Professoren an Hochschulen darüber klagen, dass ihre offenen Lehrangebote oft nicht fruchten. Von Soziologie wollten die dann nichts hören. Es sei diskriminierend, jemanden erst an die Hand zu nehmen. Offene Angebote seien etwas für selbständige Studierende und wer das nicht annähme, gehöre halt nicht an eine Hochschule.

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        1. Thomas Beitragsautor

          Ich frage mich zunächst, wohin nobel klingende Praktiken führen, denn das Ergebnis ist ja mitunter nicht das angestrebte. Die Ergebnisse können aber nur empirische Forschung zeigen.

          Und selbst da ist das Problem, wie operationalisiert man das alles? Was ist denn überhaupt Bildungserfolg? Wir wissen was die OECD dafür hält, aber das ist auch eher Quark. Selbst Ungleichheiten am Ende messen ist doch irgendwie nix, wenn du keine Baseline für gelungene Bildung hast. Und wie der junge Mann in dem Video so schön sagt: wir forschen nicht an Grundschulkindern, also haben wir keine Idee, was da passiert. Das ist halt alles traurig.

          Du reitest mir zu sehr auf „Grundlagen“ herum. Ich finde das Konzept problematisch, weil es davon ausgeht, dass es irgendwie einen einheitlichen Satz von Skills gibt, die man halt können muss und alles ist gut. Dabei ist es auch da wieder eher so, dass du jemanden brauchst, der weiß, welche Strategien zur Lösung von Problemen für ein gegebenes anwendbar sind, und dann mit dieser Person herausfinden musst, was für dich funktioniert. Das Problem zwischen der Uni und der Schule ist hier aber auch strukturell: Schule versucht immer mehr ein reines Regelspiel zu sein. Den Schülerinnen und Schülern werden immer mehr auf erwünschtes Verhalten trainiert unter dem Versprechen, dass damit Erfolg garantiert ist. Ich bringe ja Leuten kein Englisch bei, ich bringe ihnen bei, ein Englisch-Fachabitur auszufüllen. Wenn es dabei um offene Aufgabenformen, wie Aufsätze, geht, zeigt sich dann auch schnell: die Schülerschaft hat große Probleme damit einen zumeist gesellschaftlich-alltäglichen Sachverhalt zu erfassen, zu durchdenken und sich dazu begründet und strukturiert in der Fremdsprache zu äußern. Weil das halt schlicht keine Rolle für schulischen Erfolg spielt. Die Uni passt sich dem aus meiner Sicht an: es gibt feste Unterrichtseinheiten, die jeder besuchen muss mit Anwesenheitspflicht und feste Prüfungsformen, die strukturell einfach bewältigbar sind. Wenn da jetzt offene Formen angeboten werden, dann ist das jedenfalls für viele Schülerinnen und Schüler aus meiner FOS schlicht etwas, was die nie gelernt haben. Und es ist nicht diskriminierend jemanden an die Hand zu nehmen. Es diskriminiert es nicht zu tun. Und für die Zitatesammlung: „Wenn jemand Hilfe benötigt sagt das nichts über die Person, sondern nur über ihre Fähigkeiten und die können immer erweitert werden.“

          Dazu als Beobachtung: man lernt das auch nicht am Gymnasium, die sind da genauso scheiße drin. Die Leute, die da Erfolg haben, haben den tatsächlich nur durch den Habitus, der vom bildungsbürgerlichen Heim kommt. Die sind nur nicht an meiner Schule und die, die da glauben, dass sie den Habitus haben, haben ihn auch nicht. Und ich habe selbst gesehen, dass das echt das Selektionskriterium ist. Besonders häufig übrigens bei Kolleginnen und Kollegen die nix auf der Pfanne haben. Und ich bin überhaupt nicht genervt davon.

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          1. Sonntagssoziologe

            Entweder hast du eine Vorstellung davon, was Bildung ist, dann ist das auch operationalisierbar oder du hast keine, dann müsstest du dir aber die Frage gefallen lassen, was du da überhaupt treibst und ob man statt deiner nicht einen Besenstiel hinstellen könnte.

            Also ich teile die Ansicht der von mir beschriebenen Professoren ja ganz und gar nicht, sondern habe das kritisch gemeint, deshalb bin ich da auch bei dir.

            Interessant ist deine Beobachtung, dass es Leute gibt, die sich in einem Habitus glauben, den wir ihnen gar nicht zuordnen würden. Das gibt es an der Hochschule auch und geht meiner Beobachtung nach mit einem problematischen Überlegenheitsgefühl einher.

          2. Thomas Beitragsautor

            Entweder hast du eine Vorstellung davon, was Bildung ist, dann ist das auch operationalisierbar oder du hast keine, dann müsstest du dir aber die Frage gefallen lassen, was du da überhaupt treibst und ob man statt deiner nicht einen Besenstiel hinstellen könnte.

            Das Problem ist doch, dass diese Vorstellungen sich auf dem Level der Lehrperson unterscheiden. Nichtmal das bayrische Kultusministerium weiß das wirklich, aber schreibt gerne mal knackige Zehnseiter über das Thema. Ich weiß also, was ich für Bildungserfolg halte und bin damit natürlich kompetenter als ein Besenstiel, solange jemand dann meinen Bildungsbegriff operationalisiert. Im übrigen gebe ich das gern an alle Hochschuldozenten und Forschenden in dem Bereich zurück. Da wurde ich bisher auch nicht überzeugt.

            Interessant ist deine Beobachtung, dass es Leute gibt, die sich in einem Habitus glauben, den wir ihnen gar nicht zuordnen würden. Das gibt es an der Hochschule auch und geht meiner Beobachtung nach mit einem problematischen Überlegenheitsgefühl einher.

            Ist dieses Jahr erst passiert… und führt dazu, dass SchülerInnen und Eltern dir als Lehrkraft erklären, dass du deinen Job falsch machst. Immer wieder amüsant.

  2. Sonntagssoziologe

    Wenn jeder Lehrer eine andere Bildungsvorstellung hat, gibt es Bildung alls solche nnicht, dann ist der Begriff untauglich. Es lassen sich aber schon Gemeinsamkeiten aller Lehrer beobachten. Z.B. scheinen Englischlehrer überwiegend Englisch zu unterrichten und Englischkompetenz ist messbar. Der Teil von Bildung, den Lehrerinnen und Lehrern mit ihren eigenen Weltansichten füllen, kann freilich nicht vereinheitlicht gemessen werden. Messen ließen sich hier immerhin die Folgen unterschiedlicher Konzepte auf die Lebenschancen von Schülerinnen und Schülern.

    Hier kann man empirisch freilich erstmal über die Noten gehen. Es scheint ja so zu sein, dass statistisch Mädchen bei gleichen Schulleistungen bessere Noten erhalten und z.B. disziplinierte Personen bei gleicher Leistung relevant besser benotet werden. Insofern könnte man schon eine gewisse Gesinnung attestieren, auch wenn das nur die Mehrheit der Lehrkräfte betrifft und es zahlreiche Ausnahmen gibt.

    Grade an Selbstrefelxion, kritischem Denken und solcherlei Eigenschaften, die gemeinhin mit Bildung assoziiert werden, ließen sich durchaus operationalisieren. Freilich gibt es Meinungen, derer nach diese Denkformen den Universitäten vorbehalten bleiben sollen.

    Ich bin kein Dozent, sondern treibe mich im statistischen Hochschulqualitätsmanagement herum. Und ja, da liegt auch viel im argen. Insgesamt glaube ich eine generelle Aversion von Dozenten und Lehrern gegenüber der Messbarkeit ihrer Pädagogik zu beobachten. Dies führt zumindest an Hochschulen zu einer Willkür der Konzepte und einem persönlichen Ausgeliefertsein der Studierenden hinsichtlich der persönlichen Gnade von Dozierenden. Das ist Paradox, denn selbst messen Dozenten und Lehrende ihr Klientel ja dauernd mittels Noten.

    Bitte nicht falsch verstehen, Unterricht, wie du ihn im Podcast beschrieben hast, hätte ich auch gern genossen. Der scheint fruchtbar viel Irritation zu beinhalten. Deshalb zielt meine Kritik möglicherweise auf den Falschen. Ich schieße sie trotzdem mal ab 😉

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    1. Thomas Beitragsautor

      Also Englischkompetenz messe ich regelmäßig und äh… das ist weder valide noch reliabel. Ist halt eher so… Hermeneutik? Obwohl wir relativ gut definierte Kriterien haben ist der Abstand von Bewertungen doch noch relativ groß. Über Deutsch reden wir einfach nicht…

      Also das mit Gesinnungen wissen wir. Es gibt da Tricks sich etwas dagegen zu immunisieren. Kriterien helfen auch wieder. Ich habe generell kein Problem mit Qualitätsmanagement in der Bildung, wenn ich es ernst nehmen könnte. Hier ist das alles Cargo Cult. Du darfst gern mal schauen: Das Problem ist halt, dass unheimlich viele Lehrer glauben, dass sie etwas Heiliges tun. Ich bin ein großer Freund von Professionalisierung. Aber sowas wie qmbs ist halt auch nicht professionell ernstzunehmen, weil Cargo Cult.

      Beruflich hat es keinen Einfluss was wir in der Kommentarspalte eines Podcasts diskutieren. Da ist es eher die neue Schulordnung… und über die rege ich mich in den Ferien nicht auf.

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  3. Sonntagssoziologe

    Ein Kollege von mir schlägt vor, Lehrende bzw. Lehreinrichtungen wie Krankenhäuser zu bewerten. Früher wurden die nach Behandlungserfolg bewertet. Nur gibt es Krankenhäuser, die die schwerere Fälle eingeliefert werden oder die in problematischeren Stadtteilen liegen. So ging man dazu über, den Erfolg am Grad der Schwere der Fälle zu beurteilen. Für Schulen hieße das, wer Rpoblemhaushaltskinder zur Hauptschule bringt, rankt höher als wer Bildungsbürgernachwuchs durchbekommt. Aber ok, die Podcastkommentare bewirken freilich gar nichts.

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    1. Thomas Beitragsautor

      Ich finde das immer noch erfrischend unterkomplex gedacht. Medizinische Diagnostik ist verglichen mit pädagogischer Diagnostik erstaunlich einfach. Ich kann dir für ein Phänomen, das sich dir als Lehrkraft präsentiert immer mehrere Ursachen nennen die alle gleich valide sind. Was isn ein Problemhaushalt? Stigmatisieren wir dann nicht gleich auch wieder die Leute weg? Und nur weil ein Kind Bildungsbürgernachwuchs ist, bedeutet das nicht, dass Mutter Natur ihm nicht vielleicht etwas wenig kognitive Leistungsfähigkeit mitgegeben hat. Und da haben wir noch nicht mit dem Teil angefangen wo wir und Medizin und die Psycholotherapie interagieren.

      Nebenbei würde das bedeuten, dass meine Schulart automatisch doppelt so viel Geld bekommt wie das Gymnasium, weil wir immer die Real- und HauptschülerInnen weiterbilden. Was tatsächlich passiert ist, dass wir lustige Übergangsklassen haben, wo ich dann 10 Jahre mieses Hauptschulunterricht vergolden darf…

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  4. Sonntagssoziologe

    Wenn du das Identifizieren von Bildungsbenachteiligten als Stigmatisieren verstehst, dann bitte. Die Alternative wäre Nachteile zu ignorieren und sie dadurch zu zementieren.

    Du setzt den zweiten vor den ersten Schritt. Erst einmal muss geklärt werden, ob Schulen belohnt werden sollen, die Schülerinnen und Schüler mit schlechteren Startbedingungen durchbringen. Was schlechtere Startbedingungen sind, ist gut belegt. Dazu würden auch kognitive Eingangstests gehören. Eine Vollpfosten zum Abi bringen wäre dann höher zu bewerten als einen Einstein. Erst, wenn man diese Frage grundsätzlich beantwortet hat, stellt sich die Anschlussfrage, nach der Messbarkeit.

    Methoden aus der Gesundheitsforschung zu übernehmen, hat nichts mit Therapieren zu tun. Man hat Patienten, Vorstellungen von Erfolg und Therapien und Ärzte mit ihren Privatansichten. Im Ergebnis erweisen sich viele annahmen der Ärzte als verheerend. Auf der anderen Seite hat man Schülerinnen und Schüler, Vorstellungen von Erfolg didaktischer Maßnahmen und Lehrerinnen und Lehrer mit Privatansichten. Die Parameter sind ähnlich. Deshalb orientieren sich die Bildungswissenschaften z.B. auch stärker als die Soziologie an den Gesundheitswissenschaften. Ich sehe nicht, dass man überhaupt nirgends messend festmachen könnte, ob eine Lehrerin oder ein Lehrer gute oder depperte Arbeit leistet.

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    1. Thomas Beitragsautor

      Wenn du das Identifizieren von Bildungsbenachteiligten als Stigmatisieren verstehst, dann bitte. Die Alternative wäre Nachteile zu ignorieren und sie dadurch zu zementieren.

      Das ist schon das zweite Mal, dass du am Anfang eines Textes durch die Blume ad hominem argumentierst in dem du meine Aussage zu deinem Vorteil verkürzt, um mir dann im zweiten Satz die Definitionshoheit zu erringen. Ich empfinde diese Praktik als dieser Diskussion unwürdig.

      Du setzt den zweiten vor den ersten Schritt. Erst einmal muss geklärt werden, ob Schulen belohnt werden sollen, die Schülerinnen und Schüler mit schlechteren Startbedingungen durchbringen.

      Ein Anreizsystem für Institutionen, die gesellschaftlich relevante Aufgaben erbringen, ist grundsätzlich skeptisch zu sehen.

      Was schlechtere Startbedingungen sind, ist gut belegt.

      Aber dann eben auch nicht verallgemeinbar. Nur weil wir sozialstrukturell wissen, wie sich da die Chancen verteilen bedeutet das nix für den Umgang mit der einzelnen Person. Du kannst Schulen fördern, die in Gebieten mit strukturellen Problemen liegen und arbeiten, aber das war’s auch.

      Dazu würden auch kognitive Eingangstests gehören.

      Es gibt da Entwicklungspsychologie und die macht relativ deutliche Aussagen über die kognitive Entwicklung von Kindern. Diese ist, wenn es gut geht, erst mit dem Ende der Grundschule abgeschlossen. Deswegen haben wir ja so ein Selektionsproblem im dreigliedrigen Schulsystem. Ich habe schon genug Menschen mit Gymnasialeignung vor mir sitzen gehabt, die als „Spätstarter“ auf die Hauptschule geschickt wurden.

      Eine Vollpfosten zum Abi bringen wäre dann höher zu bewerten als einen Einstein. Erst, wenn man diese Frage grundsätzlich beantwortet hat, stellt sich die Anschlussfrage, nach der Messbarkeit.

      Die kognitiven Eingangstests wären auch Messungen. Die Aussage mit dem „Vollpfosten“ ist aus einer bildungspraktischen Sicht leider kompletter Quatsch. Wir haben im, auf das Mittelmaß ausgerichteten, Schulsystem meist genauso viel „Probleme“ mit „Einsteins“ wie mit „Vollpfosten“. Eigentlich sind die „Vollpfosten“ sogar relativ einfach zu handlen gegenüber „Einsteins“. Und dann wieder: wir sollten weder die Finanzierung von Schulen noch die Behandlung von SchülerInnen einfach von einer vereinfachten Ansicht von Bildungserfolg abhängig machen.

      Methoden aus der Gesundheitsforschung zu übernehmen, hat nichts mit Therapieren zu tun.

      Methoden aus der Gesundheitsforschung haben absolut nix mit Bildungsrealität zu tun und ich habe auch nirgendwo das Argument gemacht. Mein Argument war: ein Großteil der medizinischen Diagnostik ist so empirisch abgehangen und so klar, dass man mittlerweile Computer einsetzt, weil die das auch und besser können. Ich mach dir mal ein einfaches Beispiel: Ich unterrichte im Seminar dieses Jahr. Ich habe 8 SeminaristInnen, die unterschiedlichste Arbeiten bei mir schreiben. Alle sollen lernen, wie eine wissenschaftliche Arbeit zu schreiben ist, jede/r hat ein anderes Thema und ist eine andere Person. Das bedeutet, es gibt Leute, da schauste mal nach, es gibt Leute, die du regelmäßig an die Hand nimmst und es gibt dann die Person mit der psychischen Störung mit der du semi-therapeutisch arbeitest. Am Ende kommt möglichst viel Bildungserfolg raus. Und das führt mich zu einem wichtigen Punkt:

      Man hat Patienten, Vorstellungen von Erfolg und Therapien und Ärzte mit ihren Privatansichten. Im Ergebnis erweisen sich viele annahmen der Ärzte als verheerend. Auf der anderen Seite hat man Schülerinnen und Schüler, Vorstellungen von Erfolg didaktischer Maßnahmen und Lehrerinnen und Lehrer mit Privatansichten. Die Parameter sind ähnlich.

      Die Parameter sind nicht ähnlich. Und zwar an dem Punkt, dass es „Vorstellungen vom Erfolg didaktischer Maßnahmen“ gibt. Ja das erzählen dir die Didaktiker und die Pädagogen gern und Vorstellungen haben die sicher. Selbst ist das selbst, wenn die da empirische Studien oder Schulversuche machen, alles ganz großer Humbug. Die komplette Basis der aktuellen gymnasialen Englischdidaktik ist ein einziger naturalistischer Fehlschluss und sprachwissenschaftlich dysfunktional. Aber, hey. Das ist besser als vorher, was daran liegt, dass es niemand in der Realität an der Schülerschaft verbricht, weil jede Lehrkraft unheimlich schnell mitkriegt, dass das Bullshit ist. Medizinische Verfahren brauchen eine Zulassung, einen Wirkungsnachweis und so weiter. Didaktik hat dagegen die wissenschaftliche Härte von Homöopathie. Wir wissen so ungefähr was nicht funktioniert und alles andere hat mehr mit Religion als mit Wissenschaft zu tun. Bezogen auf das Beispiel oben bedeutet das übrigens: ich hab nur eine komplett undidaktische Methode, nämlich das Gespräch. Und das was ich dann im Gespräch mache ist eine Anwendung des Straußes an Wissenschaften, die ich so studiert habe. Auf das konkrete Problem und die Person bezogen. Das ist so ungefähr das Gegenteil von dem, was du an der Uni und im Referendariat als Didaktik lernst. Die geht nur davon aus, dass wenn ich Wissenbröckchen in der richtigen Größe schneide und mit der richtigen Soße serviere, die meisten das verstehen. (Und die, die es nicht verstehen, sind defekt.)

      Deshalb orientieren sich die Bildungswissenschaften z.B. auch stärker als die Soziologie an den Gesundheitswissenschaften. Ich sehe nicht, dass man überhaupt nirgends messend festmachen könnte, ob eine Lehrerin oder ein Lehrer gute oder depperte Arbeit leistet.

      Am Anfang einer jeder Einführung in die Pädagogik gibt es ein langes Kapitel „Die Pädagogik als Wissenschaft“. Das steht da nicht, weil sich die Vertreter der Bildungswissenschaften sicher sind, dass sie wissen, was sie da machen. Der Trend zur empirischen Forschung ist aus meiner Sicht begrüßenswert, die Theoriebildung in der Didaktik ist aber äh… peinlich? Und ich würde auch behaupten, dass der größte Wurf in der Bildungswissenschaft die Erkenntnis der Differenzierung ist und das ist so wichtig wie lapidar. Aber daraus haben die keine Schlüsse auf die Schule gezogen, außer uns einen Zettel zu geben auf dem steht: „Differenziert!“.

      Und ich kann dir sagen, wie gemessen wird, ob ich als Lehrer eine gute Arbeit mache: habe ich den Lehrplan durchgenommen? stimmen die Notenschnitte? ja? Gute Arbeit! Auch hier wieder: für die einzelne Person ist das komplett sinnlos. Und für Bonuspunkte: jedes Mal, wenn du das wirklich messen willst, komme ich und frage dich, ob du alle Drittvariablen wie Eltern und so ausgeschlossen hast. Da kann viel Geld versenkt werden. Bei aktuellen Evaluationen meiner Schule saßen Leute hintendrin und haben mitgezählt, wie oft ich welche Methode und Sozialform verwendet habe, weil Bildungserfolg ja davon abhängt, wieviele Gruppenarbeiten du machst. Bei der Veröffentlichung der Daten habe ich verstanden, was die da machen, fand es aber auch peinlich. Ich nehme Messungen ernst, wenn ich die theoretischen Prämissen ernst nehmen kann. Stattdessen wird mir gesagt: „Naja, wir haben das jetzt mal so definiert und wir wissen, dass das eigentlich nix sagt.“ Alles großes Tennis… ich kann das halt nicht ernst nehmen.

      Und weil wir schon bei pet peeves sind: was uns LehrerInnen wirklich helfen würde ist, wenn man uns mal die Verwaltung streamlined, diese ganze Formularscheiße abnimmt, uns nicht mit Schulordnungen, Lehrplänen und neuen didaktischen Konzepten vollscheißt und dann auch noch regelmäßig rumevaluiert. Wir könnten mal Ruhe gebrauchen und eine Struktur mit der wir die Nasen, die ScheißlehrerInnen sind, gecoacht und im Zweifel entfernt kriegen. Ich würde wirklich, wirklich gern einfach mal in Ruhe gelassen werden. So für 5 Jahre… möglichst viele Freiheiten, Tür zu, Rücken freihalten und lasst uns machen. Da kommen tolle Sachen und viel mehr undefinierter Bildungserfolg raus. Und dann könnte man mal anfangen und sammeln, was funktioniert hat, und ne Theorie bilden, die was mit der Realität zu tun hat und so.

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  5. Sonntagssoziologe

    Bitte lösche mal das Vorpost, da gingen die Zitierungen schief.

    War nicht meine Absicht. Sorry. Dann so:

    „Was isn ein Problemhaushalt?“

    Für das Bewertungskonzept solche Herkunfts- und kognitiven Eigenschaften, deren Träger eine geringere Wahrscheinlichkeit haben, einen guten Schulabschluss zu machen. Sie dennoch dazu zu führen, ist schwieriger und sollte aus meiner Sicht höher bewertet werden.

    „Stigmatisieren wir dann nicht gleich auch wieder die Leute weg?“

    Ja, aber das halte ich verglichen mit den Auswirkungen des Ignorierens für die geringere Zumutung.“

    „Ein Anreizsystem für Institutionen, die gesellschaftlich relevante Aufgaben erbringen, ist
    grundsätzlich skeptisch zu sehen.<<

    Wieso?

    "Nur weil wir sozialstrukturell wissen, wie sich da die Chancen verteilen bedeutet das nix für den
    Umgang mit der einzelnen Person. Du kannst Schulen fördern, die in Gebieten mit strukturellen
    Problemen liegen und arbeiten, aber das war’s auch."

    Heißt das, aus sozialstrukturellem Wissen können keine Maßnahmen zur Verbesserung abgeleitet werden, weil die letztlich immer Einzelpersonen träfen, für die das nichts bedeutet?

    "Entwicklungspsychologie"

    Welche Marker geeignet sind und welche nicht, erfordert interdisziplinäre Expertise. Wenn kognitive Marker keine Relevanz für den Schulerfolg haben, dann lässt man sie eben weg. Vorhin sagtest du aber, dass es für kognitiv weniger Leistungsfähige schwieriger sei.

    "Am Ende kommt möglichst viel Bildungserfolg raus."

    Den man offenbar soweit messen kann, dass du von viel und wenig sprichst.

    "Didaktik hat dagegen die wissenschaftliche Härte von Homöopathie. Wir wissen so ungefähr was
    nicht funktioniert und alles andere hat mehr mit Religion als mit Wissenschaft zu tun."

    Manche Gesundheitswissenschaftler würden sagen, ja, das ist wie in der Medizin. Auf Didaktik möchte ich nicht näher eingehen, da ich davon im Detail keine Ahnung habe. Ich spreche mich lediglich dafür aus, so ranzugehen: Sagt, was die Didaktik bewirken soll und lasst messen, ob sie das tut. Meiner Erfahrung nach sperren sich da aber viele didaktische Anwender. Im Extremfall bedeutet dann Erfolg nicht mehr Schulerfolg, sondern möglichst weiche Skills wie Persönlichkeitsreifung. Fragt man dann, was darunter verstanden werden könne, um wenigstens diesen Erfolg abzufragen, bekommt man auch keine handhabbare Antwort. Das Mitzählen von Methoden durch Revisionisten auf der letzten Bank, wie du es beschreibst, gehört auch dazu. Nicht der Output wird am Input gemessen, sondern unter Lehrqualität wird dann verstanden, ob ein didaktisches Konzept auch wirklich angewendet wird. Das halte ich für Unsinn.

    Die Messung von Notenschnitten etc. kommen aus einem Grundverständnis des Schulwesens, das auf Schule als Verteilungsmaschine abziehlt. Dagegen spreche ich ja.

    Vielleicht kämen bei dir nach 5 Jahren Freiheit gute Ergebnisse heraus. Ich kenne aber genügend Lehrende, bei denen ich das Gegenteil vermute.

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